Römer aus Theresienthal Weblog

May 24, 2013

Glaskunst 1889 – 1939, Bestandskataloge des Bröhan-Museums Band VII

Filed under: Vermischtes — Stephan Buse @ 19:51:54

Hier eine nur leicht veränderte Version der Rezension zu dem Buch Glaskunst 1889 – 1939, Bestandskataloge des Bröhan-Museums Band VII, veröffentlicht im Glasfreund 2 - 2013:

Auf meiner Berlinreise im Sommer 2011 konnte ich auch das Bröhan-Museum gegenüber dem Schloss Charlottenburg besuchen, eine Empfehlung für jeden Liebhaber von Kunst und Kunsthandwerk aus den Epochen von Jugendstil, Art deco und Funktionalismus. Anlässlich der Publikation des umfangreichen Bestandskatalogs der kompletten Glassammlung des Museums in 2010 wurde dort unter dem Titel „Fragile“ eine Auswahl von 280 Gläsern, entstanden im Zeitraum von 1889 bis 1939, der Öffentlichkeit präsentiert. Mit seinen rund 3,4 kg war mir damals der 710 Seiten starke Katalog zu schwer für den anschließend geplanten Stadtbummel, der auch noch in die Antiquitätenmeile auf der Suarezstraße zum Gläsereinkauf führen sollte. Etwa eineinhalb Jahre später habe ich nun das damals mit Absicht versäumte nachgeholt und mir das 2010 von Margit Bröhan und Claudia Kanowski herausgegebene Werk für nicht ganz billige aber allemal preiswerte 65,– Euro erworben. (Finger weg von dem überteuerten Angebot eines im Internet vertretenen Händlers für 99,80 Euro!)
Der Katalog präsentiert, sortiert nach Regionen und innerhalb der Regionen alphabetisch nach Herstellern und Künstlern gegliedert, den „aktuellen Glasbestand des Bröhan Museums“ (S.11).
„Im ersten Teil (S. 14-517) finden sich die Firmengeschichten mit Farbtafeln ausgewählter Gläser. (…) Im Katalogteil (S. 520-681) folgen ausführliche Angaben zu jedem Objekt“ (ebd.) der Sammlung.
Bereits das Studium des Inhaltsverzeichnisses macht deutlich, dass sich die Glassammlung des Museums auf mittel- und nordeuropäische Hütten und Entwerfer konzentriert. Allein Tiffany, New York bildet da eine Ausnahme. Allerdings offenbart die Sammlung auch in Bezug auf europäische Herkünfte Lücken: Gänzlich fehlen so bedeutende Glashütten wie James Powell & Sons, Whitefriars (England), De Kristalunie, Maastricht (Niederlande), Cristalleries de Saint-Louis (Frankreich) und aus Deutschland die Glasfabrik Wilhelm Steigerwalds, die Regenhütte, deren Jugendstilglas zwar selten, aber ebenfalls nicht bedeutungslos ist (vergl. Christiane Sellner, Gläserner Jugendstil aus Bayern, Grafenau 1992 und Der Glasfreund 37-2010 und 46-2013) und das von Poschinger`sche Glashüttengut Buchenau.
„Wissenschaftliche Sorgfalt, genaue Dokumentation, extensive Literaturaufbereitung waren und sind wesentliche Kriterien der Arbeit“ (S. 6), so Dr. Magrit Bröhan, die ehemalige Direktorin des Bröhan-Museums in ihrem Geleitwort. Für die Artikel zu den einzelnen Herstellern und Künstlern zeichnen daher verschiedene wissenschaftliche zum Teil namhafte Autoren verantwortlich, allen voran Dedo von Kerssenbrock-Krosik, der jetzige Leiter des Glasmuseums Hentrich, Museum Kunst Palast, Düsseldorf.
Wie könnte es anders sein, selbstverständlich schlage ich als Theresienthalsammler zuerst den Abschnitt zur Theresienthaler Krystallglasfabrik, Zwiesel auf (S. 284ff.), den die mir bis dato unbekannte Sandra König verantwortet. In ihrem recht kurzen Abriss der Geschichte Theresienthals (die Josephinenhütte beispielsweise bekommt S. 446ff. dreimal soviel Text spendiert) versäumt sie es nicht darauf hinzuweisen, dass Theresienthal auf der Weltausstellung in Paris 1867 eine Bronzemedaille erhalten habe. Dass diese Auszeichnung der kurze Zeit später aufgegebenen Tafelglasproduktion Theresienthals gegolten hat, und gerade nicht dem Kunst- und Gebrauchsglas dieser Hütte, wie es bei dem Thema des Katalogs ja naheläge, das wird von ihr leider nicht erwähnt. Bedauerlicherweise hat die Autorin vor der Veröffentlichung mit mir keinen Kontakt gesucht, offenbar ist ihr entgangen, dass ich über meine Internetpräsenz Roemer-aus-theresienthal.de leicht erreichbar gewesen wäre, ebenso leicht wie andere Auskunftgeber, die sie hier und für ihre Einführungen zu Fritz Heckert (Seite 440ff.) und zur Josephinenhütte (Seite 446ff.) um Informationen gebeten hat. So hätte sich vielleicht auch ein Fehler vermeiden lassen: Wenn die Autorin behauptet, dass neben Ludwig Hohlwein auch Jean Beck und Bruno Mauder für Theresienthal tätig gewesen wären, dann offenbart das nicht nur Unkenntnis der aktuellen Forschungslage, sondern auch, dass die verschiedenen Autoren dieses Katalogs sich untereinander nicht immer abgestimmt haben, schreibt Xenia Riemann in ihrem Artikel zu Jean Beck (S. 222ff.) doch, dass Jean Beck eben nicht für Theresienthal gearbeitet habe. Letzteres ist wohl richtig und gilt übrigens ebenso für Bruno Mauder! Für beide Entwerfer fehlt bislang jeglicher Beleg, der eine Tätigkeit für Theresienthal nachweisen würde. Und ob Ludwig Hohlwein tatsächlich direkt für Theresienthal tätig war, oder ob er seine Entwürfe für die „Theresienthaler-Cristallglasfabriks-Niederlage“ des Eduard Rau in München angefertigt hat (in den Katalogen dieser Firma erschienen seine bekannten blasigen Gläser mit vielfältigen Karrikaturen unter der Überschrift „humoristische Karikaturenservice“, und sie sind Stand heute nicht in den Preislisten der Glasfabrik Theresienthal selbst nachweisbar), dies muss zumindest hinterfragt werden und bedarf einer genaueren Untersuchung des Verhältnisses der Glasfabrik zur Niederlage in München. Vermutlich ist dieses Verhältnis von Glashütte zum Handelsunternehmen eher so zu betrachten wie im Fall der Firma Steigerwalds Neffe, die u.a. glasverlegerisch tätig war. Eine „Glashütte Franz Steigerwalds Neffen“, wie von Xenia Rieman hier (S. 223) und im Internet (http://jean-beck.de/ueber-jean-beck/materialsprache.html, Stand 01.03.2013) behauptet, gab es übrigens nicht. Nachweislich aber wurden Glasentwürfe des Kunstmalers und Mitglieds des Deutschen Werkbunds Carl Rehm, die dieser für die Firma Steigerwalds Neffe anfertigte, in Theresienthal ausgeführt (vergl. Der Glasfreund 42-2012, Seite 13ff. und www.roemer-aus-theresienthal.de/kobaltblau.html). Diese Glasgefäße wurden 1914 auf der Deutschen Werkbund Ausstellung in Köln gezeigt. Carl Rehm war später auch als Entwerfer für die Prozellanfabrik Lorenz Hutschenreuther, Selb, tätig.
Es entspricht der Bedeutung der Glasfabrik Theresienthal keineswegs, dass laut Katalog nur zwei Gläser aus ihrer Produktion im Bestand des Bröhan Museums zu finden sind, mit den Römern Form 1639 und Form 1640 zudem zwei anonyme Hüttenentwürfe, die nicht unbedingt zu den typischen oder innovativsten Beispielen der Gläser Theresienthals gehören. Offenbar befindet sich in der Sammlung des Bröhan-Museums kein ein Glas von Hans Christiansen, kein Glas von Ludwig Hohlwein, kein Glas von Hans von Poschinger und auch kein Glas von Carl Rehm, die allesamt Zeugnis von der Glasmacherkunst Theresienthals ablegen könnten. Dass eventuell ein drittes Glas ebenfalls Theresienthal zuzuordnen ist, nämlich das Glas, das mit der Katalognummer 420 der Rheinischen Glashütten AG Köln- Ehrenfeld zugeschrieben wird („vermutlich“ (S. 621)), und das daher noch einer genaueren Betrachtung bedürfte, die anhand der kleinformatigen und perspektivisch problematischen Abbildung im Katalogteil leider nicht möglich ist, und dass andere bedeutende Glashütten in der Sammlung des Museums Bröhan gänzlich fehlen, ist für mich als Theresienthalsammler kein Trost. Gerne wäre ich daher bereit, der Sammlung des Museums weitere Theresienthaler und Regenhütter Gläser zur Verfügung zu stellen!

Was den Katalog insgesamt angeht: Wer sich für Kunst- und Gebrauchsglas aus der Zeit des Jugendstils und der nachfolgenden Epochen interessiert, der erhält hier gemessen an seinem Umfang ein mehr als seinen Preis wertes Werk, das eine Fülle von Informationen auf meist hohem Niveau bereithält. Zugleich ist es buchmacherisch und gestalterisch außerordentlich gelungen, als Bücherfreund fehlen mir lediglich Lesebändchen, die das Hin- und Herblättern zwischen den einzelnen Katalogteilen und Kapiteln erleichtern würden! Die Farbtafeln der ausgewählten Gläser im ersten Teil des Katalogs sind zum Teil hervorragend, die Abbildungen im Katalogteil hätte ich mir etwas größer gewünscht. Weniger hilfreich ist es, Objekte aus einer Perspektive von schräg oben zu fotografieren, wie beispielsweise auf Seite 278 die Gläser aus Köln-Ehrenfeld. Die Proportionen werden dabei verzerrt und der für eine Bestimmung nicht unwesentliche Übergang von Stengel zu Kuppa kann häufig gar nicht betrachtet werden. Besonders wertvoll wird der Band durch die von den einzelnen Autoren ausführlich betriebende Darstellung der Literatur, die es dem interessierten Leser möglich macht, weitere Forschungen anzustellen. Dass diese Literaturschau gerade bei meiner Lieblingsglashütte Theresienthal recht kurz ausfällt, wie insgesamt der Artikel zu Theresienthal, deutlich kürzer sogar als das von mir bereits 2007 in dem Band Römer aus Theresienthal Band I veröffentlichte und längst ergänzungsbedürftige Literaturverzeichnis, macht mich allerdings etwas ratlos. Zwar wird mehrfach auf das Buch verwiesen, rezipiert worden ist es aber wohl nicht. Da sich der Katalog aufgrund seines Gewichtes nicht leicht handhaben lässt, würde ich mir hier eine Ausgabe auf DVD als Beilage wünschen, die ich auf meinem Laptop lesen könnte, der leichter und handlicher ist als dieses Buch. Dies böte außerdem die Möglichkeit einer schnelleren Recherche und Stichwortsuche! Es bleibt zu hoffen, dass es in der Tat zur Verwirklichung der geplanten Datenbank kommt, die den Gesamtbestand der Gläser im Internet zugänglich machen soll (Seite 11), das Glasmuseum Hentrich, Museum Kunst Palast in Düsseldorf ist mit seiner Beteiligung am Digitalen Kunst- und Kulturarchiv der Stadt Düsseldorf (www.duesseldorf.de/kulturamt/dkult/index.shtml) hier längst Vorreiter.
Erhältlich ist der Band VII der Bestandskataloge des Bröhan-Museums „Glaskunst 1889-1939“ direkt im Bröhan-Museum (weitere Informationen www.broehan-museum.de), aber auch im Buchhandel (ISBN 978-3-941588-03-5).

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