Römer aus Theresienthal Weblog

January 28, 2012

Demokratisierung oder Monopolisierung?

Filed under: Vermischtes — Stephan Buse @ 11:08:15

Dass Demokratisierung auch ihre Gefahren in sich birgt, wenn mit ihr keine Qualitätssicherung einhergeht, davon weiß exemplarisch und eindrücklich die Geschichte des Deutschen Weinbaus in der zweiten Hälfte der vergangenen Jahrhunderts zu berichten. Meine verstorbene Großtante hatte einen Lieblingswein, das war ein in fast jedem Supermarkt vertretener Wein aus der Großlage Oppenheimer Krötenbrunnen, der für gut zwei Deutsche Mark erhätlich war, keine Rebsorte auf seinem Etikett nannte, dafür sich aber als Spätlese bezeichnete. Ich erinnere diesen Wein als ein süßes leidlich aromatisches Getränk, das, mit entsprechender Kohlensäure versehen, auch als dünne Limonade durchgegangen wäre. Wie war der Deutsche Weinbau auf den Hund bzw. solche Weine gekommen? Im Hintergrund stand der Wunsch, möglichst vielen Verbrauchern den Zugang zu süßen, vermeintlich qualitätvollen (”Spätlese”) deutschen Weinen zu einem möglichst geringen Preis zu erlauben. Der Gesetzgeber machte da gerne mit und am Ende war der Ruf des Deutschen Weines ruiniert, es gab einige Skandale um Weinpanschereien, belanglose Weine von Zuckerübenäckern, dünne Weine aus viel zu hohen Erträgen und nicht zuletzt eine Abwärtsspirale zuerst bei den Fassweinpreisen, die zahlreiche Winzer gerade mit besseren aber auch teurer zu bewirtschaftenden Lagen zur Aufgabe zwang. Das Mittelrheintal mit manchen brachliegenden sehr guten Weinbergen ist ein aufgenfälliges Beispiel dafür. Das alles war Folge einer falsch verstanden Demokratisierung (jedem seine Spätlese), die ohne Qualitätssicherung daherkam und damit den Ruf der Deutschen Weines, der noch um 1900 auf den Weinkarten mit französischen Edelgewächsen mühelos konkurrieren konnte, den sich aber aufgrund des Preises viel weniger Menschen leisten konnten, gründlich ruinierte. Spät, sehr spät wurde dies erkannt, und erst in den letzten zwei Jahrzehnten wird zunächst zögerlich, inzwischen konsequenter gegengesteuert. Es gibt sie immer noch, die Tropfen bestenfalls mittelprächtiger Qualität zum günstigen Preis, aber sie dürfen immer weniger unerkannt so tun, als seinen sie edle Spitzengewächse. Qualitativ gute Weine gibt es inzwischen wieder in größerer Zahl, auch ist die Süßigkeit nicht mehr das Qualitätsmerkmal schlechthin. Gleichzeitig sind die Preise für solche Weine nach meiner Beobachtung leicht im Steigen begriffen.
Demokratisierung mit Qualitätssicherung hat also auch ihren Preis, dies gilt nicht nur für den Weinbau sondern für alle Konsum- bzw. Lebensbereiche.
Aus meiner Sicht ist eine Demokratisierung mit Qualitätssicherung einer Monopolisierung in jedem Fall und zu jeder Zeit vorzuziehen. Dies gilt für sämtliche Bereiche und auch für die Kunstgeschichte. In dem Bereich der Kunstgeschichte, in dem ich unterwegs bin, beobachte ich, seit ich Glassammler bin, zwei gegenläufige Tendenzen. Da gibt es diejenigen, die Wissen monopolisieren wollen, weil Wissen ja Ansehen, Macht und auch Geld bedeutet, und da gibt es diejenigen, die Wissen demokratisieren möchten. Dies betrifft Kunsthistoriker, Sammler und Händler gleichermaßen. Derjenige, der Wissen monopolisiert, scheint im Vorteil zu sein, denn er glaubt, seine Sammlung als erster vervollständigen zu können, überstrahlt durch sein Wissen vermeintlich alle anderen, hofft, mehr Geld zu verdienen. Und was motiviert die anderen? Ein großes Mitteilungsbedürfnis, der Wunsch, andere anzustecken mit der Begeisterung für ein Thema oder auch die grundsätzliche politische Überlegung, dass Wissen nicht nur einigen wenigen zugänglich darf, mag hier die Motivation sein. Ein jeder kann sich hier selbst zuordnen. Ärgerlich allerdings ist, wenn diejenigen, die Wissen monopolisieren wollen, gleichzeitig von denen möglichst kostenlos profitieren, die den anderen Weg für den richtigeren halten. Verhindern lässt sich das allerdings kaum, da es gerade im medialen Zeitalter keine wirksame Möglichkeit gibt zu trennen zwischen bloßen Profiteuren und jenen, die teilhaben wollen und zugleich teilhaben lassen.
Diejenigen, die Wissen demokratisieren wollen, sind durchaus auf Hilfe angewiesen, wenn es um Qualitätssicherung geht. Das beste Beispiel ist die Internetenzyklopädie Wikipedia. Qualität wird auch hier nicht durch bloße Demokratisierung erreicht sondern durch Kommunikation. Nicht erst in letzter Zeit fallen mir im Bereich der Sammler- und kunsthistorischen Literatur diverse Publikationen dadurch auf, dass in ihnen einige derdiejenigen, die aus meiner Sicht für Monopolisierung des Wissens stehen, sich darüber auslassen, dass diejenigen, die mit großer Begeisterung sich eines Thema annehmen, das von der Kunstgeschichte nur am Rande betrachtet wird, nicht qualitätvoll weil nicht wissenschaftlich genug arbeiteten. Leider aber sind es nicht selten gerade diese Kritiker, die ihrerseits eine Kommunikation ablehnen und zugleich ihre eigenen Fehler, die ihnen, obwohl sie wissenschaftlicher arbeiten dennoch unterlaufen (und auch dürfen) nirgendwo korrigieren. Wissenschaftlicher bedeutet also, dies am Rande bemerkt, nicht zwangsläufig qualitätvoller.
An der Demokratisierung auch des Wissens führt meines Erachtens kein Weg vorbei. Wer dann aus gutem Grund einen Qualitätsstandard realisiert sehen möchte, der muss, wenn er es denn überhaupt ernst meint und die Forderung nach Qualität nicht nur zur Diffamierung des Anderen oder der Sicherung eigener Pfründe dienen soll, die Bastion der Monopolisierung verlassen. Denn das ist ein Unding: Monopolist bleiben zu wollen, vom Prozess der Demokratisierung profitieren und diesen gleichzeitig durch Zwischenrufe stören.

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