Römer aus Theresienthal um 1890
Die Zeit vor und nach der Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871, auch als
»Gründerzeit« bezeichnet, ist gekennzeichnet durch den Beginn der Industrialisierung und
einen rapiden Aufschwung in Industrie und Handel. Nach den Kriegen von 1866 und 1870/71
führten hohe französische Kriegsentschädigungen und der Abbau mancher Zollschranken zu
einer Geldschwemme und Wachstumseuphorie. Durch waghalsige Spekulationen und zahlreiche
Firmengründungen wuchs der Neureichtum und bei dem aufstrebenden Bürgertum entwickelten
sich immer höhere Ansprüche. Der Drang zur Repräsentation äußerte sich im Hang zu
geräumigen Häusern in einem aufwändigen, großbürgerlichen Baustil mit vielen Räumen, wie
Salon, Wohn- und Speisezimmer, Herrenzimmer und Boudoir sowie den Kammern für das
zahlreiche Hauspersonal. Folgerichtig der Artikel
Ein Besuch in der Theresienthaler Glashütte 1893 in der Rubrik "Die Kunst im Hause" der Zeitschrift
"Kunst für alle".
Diese Wohnkultur entstand im Einklang mit dem Geist der damaligen Zeit, der geprägt war von
einer intensiven Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Man hoffte, wieder an die
Bedeutung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation anzuknüpfen, dem auch die
Blütezeit der deutschen Kunst angehörte. Dieses neue Geschichtsbewußtsein begegnete in der
Kunst der Zeit als „Historismus", ein Stilpotpourri, der sich in der Rückbesinnung auf und
Auseinandersetzung mit der Kunst der vergangenen Epochen entwickelte. So spiegelte die
Wohnkultur den Rückbezug auf die einstige Größe des deutschen Reiches und war folgerichtig
überwiegend „altdeutsch" ausgerichtet. Nachahmung der alten Vorbilder, nicht Fälschung war
das Anliegen. Unter den (Weiß-)Weingläsern wurde der Römer als die alte deutsche Form
erkannt, auch seine Farbe und sein Dekor mussten altdeutsch sein. Hinsichtlich der Reinheit
der Glasmasse und der Ausführung der Gläser übertraf man dabei häufig die alten Vorbilder
an Qualität.
In den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts stand die Produktion Theresienthals überwiegend im
Zeichen der altdeutschen Stilrichtung: Es wurden zeitgemäße Römer bevorzugt in verschiedenen
Grünschattierungen und in ins gelbliche spielenden Brauntönen produziert, oft auch
kombiniert mit aquamarinblauem Glas.
Anders als der etwa zur selben Zeit erscheinende
Preiscourant der Glashütte in Köln-Ehrenfeld, anders auch als das Programm der Glashütte
von Villeroy&Boch in Wadgassen, hat das theresienthaler Preisverzeichnis von ca. 1890 keine eigene
Abteilung für Ziergläser oder Kunstgläser. Bei der Mehrzahl der dort abgebildeten Gläser
handelt es sich vielmehr um Gebrauchsgläser guter und zugleich preiswerterer Qualität als
die zeitgleich hergestellten Kunstgläser aus Ehrenfeld. Daneben wurden in Theresienthal
allerdings auch Luxusgläser produziert, die nicht für den Gebrauch auf der Tafel gedacht
waren, sondern als Renomiergefäße und Schaustücke die altdeutsche Einrichtung ergänzten
und ihren Platz auf Büfett und Kredenz fanden.
Renommiergläser aus Theresienthal um 1890
Beispiele für die weniger aufwändige
Arbeit in Theresienthal: Der Rand der Kuppa wurde stets kalt veredelt, d.h. die
überflüssige Glaskappe wurde abgesprengt und der Rand der Kuppa dann geschliffen und vergoldet.
Der in Köln-Ehrenfeld übliche zusätzliche Arbeitsgang am Ofen, die „Verwärmung", also das
Verschmelzen des Kupparandes, oft nachdem die überschüssige noch zähflüssige Glasmasse mit
der Schere entfernt worden war, war in Theresienthal nicht gebräuchlich.
Ebenso wurden die Römerfüße in Ehrenfeld aus einem Glasfaden gesponnen während sie in
Theresienthal in der Regel in die Form geblasen wurden
(Ausnahme:
Römer 542).
a) Gläser, die die traditionelle Römerform aufnehmen
Insgesamt finden sich in der Preisliste von ca. 1890 nur sieben Gläser, die die
ursprünglichen Römerformen (mit unterschiedlichen
Proportionen der Formelemente Fuß, Schaft und Kuppa) wieder aufnehmen. Der überwiegende Teil
der angebotenen Römer verändert die historischen Formen auf unterschiedliche Weise oder
löst ihre Form fast gänzlich auf:
Historismusrömer, die die trad. Römerform aufnehmen
b) Variationen der Römerform
Gegen Troppenburg (S.125) ist hier zunächst festzuhalten, dass ein in dieser Zeit „moderner"
Römer, - als solche modernen Gläser sind die Formvariationen, die in dieser Zeit entstanden,
zu betrachten -, nicht nur eins, sondern mindestens zwei der vier traditionellen römertypischen Formelemente enthalten musste:
konischer, gesponnener oder „optisch geblasener" Fuß, deutlich abgesetztes zylindrisches Mittelteil, Nuppen und die eiförmige
Kuppa. Dabei sind die Nuppen als vom Mittelteil (Hohlschaft) selbständiges Formelement neben der Kuppa und dem konischen Fuß
zu betrachten, gibt es doch auch vor der Zeit des Historismus bereits Römer, die auf das zylindrische Mittelteil verzichten,
trotzdem aber
Nuppen besitzen, wie umgekehrt auch Römer mit zylindrischem Mittelteil aber ohne Nuppen produziert wurden. Über die zwei
notwendigen römertypischen Formelemente hinaus stand der Rest der Form dann der freien Gestaltung offen.
Neue Römerformen entstanden im Historismus sowohl durch das Weglassen traditioneller Formelemente, wie auch durch die
Hinzufügung von Formelementen, die für diese Glasform neu sind (zu diesen gehören u.a. der dem Barock entlehnte hohle
gegliederte Balusterschaft oder der Scheibenfuß), durch Neuanordnung alter Formelemente (z.B. Nuppen auf der Kuppa) sowie
durch veränderte Proportionen (hier fällt besonders die Verlängerung des gerippten Fußes mitunter bis zu drei Vierteln der
Gesamthöhe eines Glases ins Auge).
Christian Jentsch, Licht und Rausch, Seite 116, unterscheidet hier "Trompetenfußrömer" von
"Baluster-Römern". Zumindest für die Römer aus Theresienthal scheint es aber sinnvoll,
noch eine dritte Kategorie einzuführen, in der die Römer zusammengefasst werden, die einen
Trompetenfuß mit einem Balusterschaft kombinieren.
Trompetenfußrömer
Balusterrömer
Trompetenfußrömer mit Balusterschaft
Ein prominentes Beispiel für eine Römerform, die nicht in der Glashütte entworfen wurde und
eine eigene Kategorie verdient, bilden die Römer, die in der
Preisliste von ca. 1890 die Nummern 64/16-19 tragen. Diese Form erinnert an einen Entwurf von Karl Friedrich Schinkel,
veröffentlicht in „Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker, Berlin 1830-37" (Bd II, Abt. II, Blatt 4):
Auf einen Stiel wie er bei Stengelgläsern nicht selten zu finden war (glatte Fußplatte, hohler Balusterschaft) sind ein
zylinderförmiges nuppenbesetztes Mittelteil und eine Kuppa je in typischer Römerform aufgesetzt. Das Wellenband, das
herkömmlicherweise den Abschluss des Mittelteils zur Kuppa markierte, ist hier als Begrenzung des Schafts nach unten angebracht.
An den Kronprinzen Maximilian von Bayern schrieb Schinkel 1840: „Jedes Kunstwerk muß ein ganz neues Element in sich haben,
auch wenn es im Character eines bekannten schönen Styls gearbeitet ist; ohne dies neue Element kann es weder für den Schöpfer
noch für den Beschauer ein wahres Interesse erzeugen. Dies neue Element aber ist es, was ihm das Interesse für die bestehende
Welt giebt, welches das Mehr aus dem bestehenden heraustreten läßt und dadurch das bestehende mit einer neuen Farbe verschmilzt
und den Reiz eines lebendigen Geistes darüber ausgießt." (Schinkel 262)
Neues Element an dem von Schinkel in den dreißiger
Jahren des neunzehnten Jahrhunderts entworfenen Römer ist der hohle Balusterschaft, versehen mit einem stengelglastypischen
Scheibenfuß, sowie die Abgrenzung des Mittelteils nach unten durch einen wellenförmigen Glasfaden. Der ursprüngliche Entwurf
Schinkels zeigt darüber hinaus nicht ein zylindrisches geschlossenes, sondern ein kugelförmiges vermutlich nach unten geöffnetes
Mittelteil. Diese wäre aus einer weiteren Glasblase anzufertigen gewesen und ist wohl aufgrund des höheren Arbeitsaufwandes und
seiner Zerbrechlichkeit zugunsten des zylindrischen geschlossenen Mittelteils aufgegeben worden. An den abgebildeten Römern
lässt sich auch die Veränderung des Zeitgeschmacks verdeutlichen: Die dunkelgrüne Variante steht hinsichtlich Material und Farbe
des Glases noch in der Tradition des böhmischen Biedermeierglases, allein die Form weist in eine neue Zeit. In der Preisliste
von ca. 1890 wird die Form fast unverändert beibehalten, die Ausführung erfolgte aber in den Farben „bernstein", „antikgrün" oder
„chrystall". Die Variante „bernstein" wird mit „Emailldecor" angeboten, die beiden weiteren Farben glatt, graviert oder gemalen.
Alles spricht dafür, dass es sich bei dem dunkelgrünen Exemplar um eine frühe Ausführung aus der Zeit vor 1880 handelt.
Auch anhand dieser Römer hat Warthorst die Diskussion über Zuschreibungen einzelner Gläser
an bestimmte Glashütten geführt (siehe dazu: Schriften des Passauer Glasmuseums, Band I, Seite 105ff., Passau 1995)..
Er verweist dabei darauf, dass formähnliche Römer auch in der Preisliste von Buchenau und einer bei Jentsch, Licht und Rausch,
Seite 123 veröffentlichten
Preisliste der Josephinenhütte erscheinen. Bei Betrachtung der Details der Musterzeichnungen wird aber deutlich, dass formähnliche
Römer aus der
Glashütte Buchenau in deren Preisliste mit einem gewölbten Hohlfuß angeboten werden. Zugleich fehlt ihnen die deutliche
Einschnürung zwischen zylindrischem Mittelteil und erster Scheibe der theresienthaler Römer. Formähnliche Römer aus der
Josefinenhütte besitzen gemäß der Abbildung in deren Preisliste vier statt drei Nuppen. Das wesentliche Kriterium zur
Identifizierung der abgebildeten Römer dieser Form als Römer aus der Glashütte Theresienthal aber ist: Die Kuppa der
theresienthaler Gläser erreicht ihren größten Durchmesser im unteren Drittel und nicht, wie es bei den Gläsern aus Buchenau
und der Josefinenhütte der Fall ist, in der Mitte. Dadurch wirkt die Kuppa der theresienthaler Gläser etwas gedrungener, das
Glas insgesamt zierlicher. Dieses Detail wurde, obwohl es auch in den Veröffentlichungen Warthorst deutlich zu erkennen
ist, bislang immer übersehen. Nun aber bietet es die Möglichkeit Gläser dieser Form eindeutig der Glashütte Theresienthal
ab- oder zuzuschreiben.
Römer nach einem Entwurf Schinkels
c) Auflösung der Römerform und die Aufnahme anderer Traditionen
Die hier gezeigten Gläser sind noch ganz dem Historismus zugehörig, wie ihre Farbe, ihr Dekor und auch einzelne Formelemente
leicht erkennen lassen. Anders aber als die Variationen der Römerform, weisen diese Gläser entweder nur noch ein Element der traditionellen
Römerform auf, oder sie beziehen sich gänzlich auf andere Vorbilder. Damit markieren sie den Übergang von
traditionellen Römer hin zu den Weingläsern (in der Regel Stengelgläsern), die im 20. Jahrhundert unter der Bezeichnung „Römer" bekannt sind.
Römer, die die trad. Römerform auflösen
d) Das Ornament der Römer aus Theresienthal um 1890
Vier formale Elemente machten den Römer der Biedermeierzeit aus: konischer, gesponnener
(oder „optisch geblasener") Fuß, deutlich abgesetztes zylindrisches Mittelteil, Nuppen
und die eiförmige Kuppa. Für die ursprüngliche Glasform des Römers ist hier festzuhalten,
dass die Nuppen und auch das gezwackte Glasband am Übergang zur Kuppa, zur alten
ursprünglichen („historischen") Form, und nicht zum schmückenden Ornament, das erst im
Historismus zur sekundären Form hinzutritt, gehören. In der Regel waren die Römer der
Biedermeierzeit auch nicht bemalt, zu einem geringen Teil nur waren sie graviert.
Zierendes Beiwerk wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Regel, ja zum
„Muss" um die gewünschte, z.B. altdeutsche, Anmutung zu unterstreichen.
Durch Vorlagenbücher standen dafür alle denkbaren historischen Ornamentformen zur
Verfügung und wurden gerne historisierend verwandt, also ohne Rücksichtnahme auf ihren
historischen Ursprung. So kann auf einem Glas des Historismus ein Ornament des 16.
Jahrhunderts sich neben einem Ornament des 18. Jahrhunderts finden, das typische Ornament
des Historismus gibt es aber nicht. Ebenso gelangen beispielsweise Nuppen nun auf
Glasformen wie Humpen oder Vasen, die in früheren Zeiten nie mit Nuppen versehen worden
waren.
Die vielfach überlieferte Meinung, im Historismus herrsche daher das Ornament vor und die
Form, auf der es erscheine, sei nachrangig, lässt sich durch folgende Beobachtungen für
die Römer der Glashütte Theresienthal, die wie die Gläser anderer Hütten im böhmischen
und süddeutschen Raum oft reich dekoriert waren, zumindest stark relativieren:
Zum einen wurden fast alle Römer von der Glashütte Theresienthal auch in einer „glatten",
d.h. undekorierten Ausführung angeboten, waren also altdeutsche oder venezianische Gläser und als solche
modern auch ohne ein der Römerform hinzugefügtes Ornament. Zeitgleich mit Theresienthal
ging diesen Weg konsequent Oskar Rauter, der Direktor der Glashütte in Köln-Ehrenfeld.
Die von ihm nach historischen Vorbildern aus Museen (nicht allein) des Rheinlandes
entworfenen Gläser kommen fast völlig ohne Gravierungen und Emaillebemalungen aus. Er
wollte „ganz der alten Mach-Art" folgen und die Gläser am Ofen und im Feuer fertigstellen.
Die Form des Glases war also "Chefsache". Nicht nachvollziehbar erscheint in diesem Zusammenhang die Aussage
Warthorsts
(Gebrauchsglas, Seite 11), dass im 19. Jahrhundert die Form des Glases künstlerisch nicht notwendig
gewesen sei und darum meist von den Fabrikanten selbst entworfen worden wäre. Für die Zeit des Historismus
postuliert Warthorst demnach, dass sich Inhaber und Direktoren der Glasfabriken (neben
Oskar Rauter in Ehrenfeld auch Henriette v. Poschinger in Theresienthal) mit Nebensächlichkeiten
befasst hätten, wenn sie Museen und Sammlungen ihrer Zeit aufsuchten und dort nach alten Vorbildern
Entwürfe für zeitgenössische Gläser fertigten. Bemerkenswerter Weise gilt dann drei Jahrzehnte
später, in einer Epoche also, als die Gestaltung Form der eigentliche (und künstlerisch allein bedeutsame) Vorgang
bei der Entwicklung von Gebrauchsgläsern zu sein scheint, dass ein Glashüttenbesitzer sich in
der Regel wieder mit Nebensächlichkeiten (der Betriebsführung) beschäftigt und nur selten die wichtigste Aufgabe in
seinem Betrieb (den Entwurf von Gläsern) wahrnehmen kann. Warthorst, Gebrauchsglas, Seite 110:
"Hans von Poschinger war ´schon seit Jahren´der verantwortliche Künstler der Glasfabrik Theresienthal.
Aber er trat selten als Entwerfer auch in Erscheinung. Meist stand die ´Theresienthaler
Krystallglasfabrik´voran".
Haben sich Glashüttenherren und Direktoren also über Jahrzehnte hinweg mit Nebensächlichkeiten beschäftigt?
Oder war es vielmehr so, dass sie sich in einer Zeit, als es externe Entwerfer ("Designer") noch kaum gab,
mit der wesentlichen Aufgabe der Gestaltung der Form des historistischen Glases selbst befassten,
während sie in der Epoche des Jugendstils und später diese Aufgabe dann auch Künstlern, Architekten und
anderen überlassen konnten, die oft nicht bei der Glashütte direkt angestellt waren?
Schon allein diese Überlegungen widersprechen für die Glasform des Römers der heute gerne kolportierten
Meinung, im Historismus herrsche das Ornament, und die nebensächliche Form diene
hauptsächlich dazu, den verschiedenen Möglichkeiten von Ornamenten den Haftgrund
(oder den sich langweilenden Glashüttenherren und -direktoren Beschäftigung) zu
bieten, zumal die vom
Glasmacher ausgeführten Auflagen, wie z.B. die Nuppen, eben zur historischen Form des
Römers und nicht zum historisierenden Ornament zu zählen sind. Obgleich Nuppen wie
gezwacktes Glasband bei manchen Römern dieser Zeit nicht mehr in ihrem ursprünglichen
historischen Zusammenhang, sondern als historisierende Zitate (z.B. Nuppen auf der Kuppa)
verwendet werden, bleiben sie Elemente der ursprünglichen Römerform und sind so
grundsätzlich von den Ornamenten zu unterscheiden, die als Stilmittel eingesetzt etwa die
altdeutsche Anmutung erzeugen sollen, dies aber völlig losgelöst von der historischen
Entwicklung der jeweiligen Glasform. So können identische Ornamente
(Wappen, Darstellungen von Rittern etc.) sich auf so unterschiedlichen Glasformen wie
Römern, Biergläsern, Kelchen etc. wiederfinden (Nuppen auf Bierkrügen z.B. sind dann
allerdings bloßes Ornament, haben sie doch mit der ursprünglichen Glasform nichts gemein
und werden hier allein als altdeutsches Stilmittel eingesetzt).
Ein weiteres Argument gegen den Vorrang des Ornaments gegenüber der Form: Die Glashütte Theresienthal bietet allein in
ihrer Preisliste von ca. 1890 nicht weniger als 27 Formvarianten der Glasform des Römers als Trinkgläser
(neben weiteren Weingläsern venezianischer Art und daneben zahlreichen sog. Pokalen in Römerform) an, eine unnötige
Formenvielfalt sollte in den Augen der Kundschaft allein das Ornament das entscheidende Merkmal sein.
Und schließlich wird auch nicht jedes Ornament für jedes Glas angeboten und daher wählt der Kunde immer ein Glas, -
auch zu dieser Zeit meist nicht aus der gedruckten Preisliste, die die Gläser nur sehr vergröbernd wiedergibt, sondern
nach Mustern, die in den
Glashandlungen oder in Warenniederlagen der Glashütten zu betrachten waren -, in seinem besonderen Zusammenspiel von
Form und Ornament. So bestimmt nicht allein die Wahl des Ornaments, sondern ebenso die Wahl der Glasform die Auswahl
eines Römers.
Wenn Warthorst (z.B. in Trödler&Sammler Mai 2003, Seite 34ff.) und andere nun behaupten,
dass im Historismus künstlerisch über die Form nicht nachgedacht worden sei, sondern die
Form wie die Technik und der Rohstoff zu den Grundbedingungen der Herstellung gerechnet
worden wäre, so dass es nicht verwunderlich sei, in verschiedenen Glashütten dieselben
Glasformen wiederzufinden, dann verkennt er (wie viele andere auch) die zahlreichen
Bemühungen etwa eines Oskar Rauters in Köln-Ehrenfeld oder einer Henriette Poschinger in
Theresienthal um die alten Glasformen in den Sammlungen und Museen ihrer Zeit:
Nicht das Desinteresse an der Form, sondern der bewusste Rückbezug auf dieselben alten
formalen Vorbilder führt dazu, dass in den Katalogen beider Glashütten mitunter identische
Römerformen mit unterschiedlicher Ornamentierung zu finden sind. Während in Ehrenfeld dabei
analog den historischen Vorbildern auf das Ornament meist verzichtet wurde, entwarf man in
Theresienthal die Ornamente für diese Glasformen gegebenenfalls unter Hinzuziehung externer
Entwerfer selbst. Und dass sich dann gerade bei den jüngeren Glasformen
(etwa
Römer RAI
und
Römer 504)
die Wege der Glashütten offenbar deutlicher trennen, - Ehrenfeld hat eine analoge Form zum Theresienthaler RAI erst
in einen Nachtrag vom August 1884 (und damit deutlich später als Theresienthal) als "Edmund-Römer" im gewöhnlichen
Programm - und solche Formen ohne altes Vorbild generell nicht im Programm seiner "Abtheilung für Kunsterzeugnisse" -, spricht ja
ebenfalls dafür, dass die Form,
anders als etwa das altdeutsche Ornament, eben nicht allgemeingültigen Grundbedingungen oder Anschauungen
unterworfen und damit im Hinblick auf die einzelne Glashütte zu vernachlässigen, sondern
der künstlerischen Kreativität der einzelnen Hütte im Rahmen des aktuellen Kundengeschmacks,der je nachdem Gläser
z.B. „altdeutschen" oder „venezianischen" Stils bevorzugte, anheim
gestellt war.
Für die Römer als die alte deutsche Form des (Weiß-)Weinglases muss so das Ornament als
nachrangig, die altdeutsche Anmutung nicht erzeugend sondern allenfalls unterstützend,
gelten. Dies gilt insbesondere für Wappen, ritterliche Szenen sowie volkstümliche Motive.
Oft Abziehbildern in ihrer Austauschbarkeit gleich, - die Römerform, auf der das Motiv
aufgebracht wurde, war für die Gestaltung des Motivs (aber eben nicht für den Geschmack
der Kunden) ohne große Bedeutung -, ergänzen Wappen und ritterliche Szenen sowie die
volkstümlichen Motive wie etwa das Münchner Kindl oder märchenhafte Szenen die altdeutsche
Form. Im Sinne eines nationalen Stils finden sich dieselben Motive auch auf anderen
Glasformen wie Humpen, Kannen etc.. Gleiche Motive lassen sich mitunter auch auf Porzellan
oder (als Relief) auf Zinngefäßen dieser Zeit finden. Obwohl in der malerischen Ausführung
durchaus von hoher Qualität sind diese Darstellungen als Zeugnisse für die rückwärtsgewandten Ausprägungen des
Historismus
ständig in Gefahr in die Spießigkeit abzugleiten. Für Theresienthal beispielhafte Dekore sind:
das Dekor
heidelberger Fass,
Wappen sowie
Blüten- und Rankenwerk und das
Münchner Kindl.
Einer besonderen Betrachtung bedarf in diesem Zusammenhang das Zusammenspiel von altdeutscher Glasform, dem Römer, mit
der Emailbemalung im orientalisierenden Stil.
Mundt bemerkt in ihrem Buch über den Historismus (S. 268), dass im Historismus mit der Römermode die Vorliebe für
emailbemalte Gläser im „maurischen Stil" parallel lief. „Flächenüberziehende, stilisierte Linien- und Pflanzenmuster
(...) galten als beispielhafte Dekore."
Bemaltes Glas mit Blüten- und Rankenwerk in farbiger Malerei mit Goldkonturen, die sich an diesem Stil orientiert,
wurde in Theresienthal zahlreich hergestellt und trug wesentlich zum Ruf der Glashütte bei. Fast nie fehlen unter den
leuchtenden Farben das der islamisch / orientalischen Malerei entlehnte Türkis und das Ziegelrot. Meistens waren es
florale, sehr selten nur geometrische Motive, mit denen die Gläser auf diese Weise versehen wurden. Auffällig ist,
dass in der Regel nur antikgrünes Glas als Untergrund für diese Art der Malerei diente. Wird eine Römerform sowohl mit
antikgrüner wie mit farbloser Kuppa angeboten, ist nur die antikgrüne Kuppa mit Malerei, die farblose Kuppa nur mit
Gravur erhältlich. Erst in der Preisliste von 1903 erscheinen farblose bemalte Römer, die in der Regel aber sehr zurückhaltend,
hauptsächlich mit Goldmalerei dekoriert sind.
Sind die mit reichhaltiger Emailmalerei versehenen Römer nun der Beleg dafür, dass das
Ornament im Historismus doch Vorrang vor der Form hatte? Sollte hier die altdeutsche Glasform nur den Haftgrund für
das orientalisierende Ornament darstellen? Er wäre zu vorschnell geurteilt, wollte man einen vermuteten Gegensatz
zwischen Form und Ornament zugunsten einer relativen Belanglosigkeit der Form bei gleichzeitiger Dominanz des
Ornaments auflösen.
Die entscheidende Frage ist, ob solch ein Gegensatz zwischen orientalisierendem Ornament und altdeutscher Form
überhaupt empfunden wurde.
Ausgangs des 20. Jahrhunderts jedenfalls, dies belegt der dritte Band des Passauer
Glasmuseums zum Historismus, wurde diesem vermeintlichen Gegensatz keine Bedeutung
zugemessen. Auf den Seiten 166ff. erscheinen unter der Überschrift „Bemalte Gläser im
altdeutschen Stil der Kristallglasfabrik Theresienthal" selbstverständlich auch jene
Gläser, die mit besagten orientalisierenden goldkonturierten Blütenmotiven versehen wurden,
obwohl knappe sechzig Seiten zuvor ein Kapitel über „bemalte Gläser im orientalisierenden
Stil" Glasgefäße darstellt, die nicht in der Form, wohl aber in der Art der Dekorierung,
mit diesen theresienthaler Gläsern durchaus vergleichbar scheinen (vergl. dort Seite 112
mit 170). Ein Hinweis auf die augenfällige Differenz zwischen den altdeutschen und
orientalisierenden Motiven der Malerei auf den Gläsern aus Theresienthal unterbleibt.
Die Zuordnung zum altdeutschen Stil erfolgt bei den Römern aus Theresienthal also
hauptsächlich anhand der Form, nicht anhand des Dekors. Ein Gegensatz zwischen Form und
Dekor wird nicht empfunden. Wenn überhaupt, dann dominiert bei den Gläsern aus Theresienthal die altdeutsche Form
das orientalisierende Dekor, so dass diese Gläser selbstverständlich als altdeutsch gelten, deren Bezeichnung als
„orientalisierend" trotz des orientalisierenden Ornaments nicht in Betracht gezogen wird.
Wie haben die zeitgenössichen Beobachter dieser Gläser das Verhältnis von
orientalisierendem Dekor zu altdeutscher Form empfunden?
Am zuverlässigsten hinsichtlich seiner Beurteilungen ist sicherlich Carl Friedrich,
der kritische Chronist der bayerischen Glasproduktion im Historismus und zugleich Verfasser eines Buches mit dem
Titel „Die altdeutschen Gläser". Zu der Kollektion, die die Glashütte 1882 auf der bayerischen Landes-Industrie-Gewerbe-
und Kunstausstellung in Nürnberg präsentierte, bemerkte er , dass der „Emailschmuck mit solch´ künstlerischem
Verständnis, mit so feinem Sinn für harmonische Gesammtwirkung (sic!)" aufgetragen worden sei, so dass er diese Stücke
als „mustergiltig" herausstellen konnte. Es waren altdeutsche Gläser sowohl mit Bildern von Rittern, mit Wappen als
auch mit den orientalisierenden Blumenfriesen, die von Carl Friedrich derart ausgezeichnet wurden, ohne dass von ihm
eine Differenzierung hinsichtlich des Stils aufgrund der Ornamentierung vorgenommen würde.
Somit kann auch für die altdeutschen Gläser, die mit den orientalisierenden Ornamenten versehen wurden, gelten:
Das Ornament dient dem Gesamteindruck. Keineswegs beherrscht es die Form in einer Weise, dass diese als gegenüber dem
Ornament sekundär zu betrachten ist. Form und Ornament dienen beide dem Zweck, stilvolle Gläser zu erzeugen. Weit mehr
als das Ornament ist bei den Römern die Form stilgebend.
Als Entwerfer der Motive der farbigen Malerei gelten Henriette von Poschinger, geb. Steigerwald,
Franz Keller-Leuzinger, Rudolf von Seitz, Hans Kaufmann und Karl Pietsch, ohne dass ihnen heute bestimmte Motive
zugeordnet werden könnten.
Die dritte Weise, in der die Römer Theresienthals um 1890 dekoriert wurden, ist die
Gravur. Jedoch sind Gravuren erst bei späteren Römern aus der Zeit des Historismus
häufiger zu finden,
scheinen sie doch dem alten deutschen Stil nicht zu entsprechen. Von den 27 angebotenen
Römervarianten sind in der Preisliste von ca. 1890 nur sechs Gläser mit Gravur
erhältlich. Carl Friedrich (89) stellt dazu fest: „Gravirungen finden sich auf den
alten Römern nur höchst selten aus dem einfachen Grunde, weil die Römer zum weitaus
grössten Theile aus farbigem, hellgrünem oder braungoldenem Glase bestanden, während
die Gravirung sich mehr an farblos durchsichtigem Glase zu bethätigen pflegt."
In der Regel wurden in der Tradition der historischen Vorbilder von den frühen theresienthaler
Römern des Historismus nur diejenigen Römer graviert, die eine farblose Kuppa erhielten.
Man verwendete dabei gerne die Weinlaubgravur.
Diese Zurückhaltung bei der Gravur der Römer, die auch in Köln-Ehrenfeld sehr deutlich geübt wurde, entspricht eben
jener Beobachtung, dass auch deren alte deutsche Vorbilder nur selten mit Gravuren versehen worden waren. Es ist
anzunehmen, dass man hier einen Gegensatz zwischen der altdeutschen Form und der Technik der Gravur empfand. Dieser
wurde nun nicht aufgelöst, indem man die Form für nachrangig erklärte und dann um so reichhaltiger mit Gravuren
versehen hätte. Das Gegenteil ist der Fall: Die Gravur wird nur sehr selten, bei weniger als einem Viertel der Römer,
und auch fast nur auf farbloser Kuppa oder bei Gläsern nach venezianischem Vorbild angeboten.
Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass die These vom Vorrang des Ornaments gegenüber der Form, die für
die Epoche des Historismus formuliert wurde und noch heute immer wieder aufs neue kolportiert wird, jedenfalls für
die altdeutschen Gläser, im speziellen für die Römer der Produktion der Glashütte Theresienthals und auch die der
Glashütte in Köln-Ehrenfeld widerlegt ist.
e) Die Farbe der Römer aus Theresienthal um 1890
Aufgrund des natürlichen Eisengehalts der Rohstoffe der alten Waldglashütten, Sand und Pottasche, entstand bei deren
Produktion oft eine typische grünliche Färbung der Glasmasse. Diese war ungewollt und zunächst ein Zeichen minderer
Qualität ebenso wie Schlieren oder
Bläschen im fertigen Glas, die aufgrund unzureichender Technik bei der Wartung der Glasschmelze und bei deren
Verarbeitung ungewollt und ungesteuert entstanden.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Farbe des alten deutschen Waldglases als „altdeutsche" Farbe
erkannt und nun bewußt als Stilmittel eingesetzt. So wurden auch die Römer aus Theresienthal „antikgrün" gefärbt, -
allein die Kuppa mancher Römervarianten wurde auch in „chrystall", also farblos, angeboten. Vermutlich waren die
Varianten mit farbloser Kuppa, wie damals üblich, für den Genuss von Rotwein gedacht. Anders aber als das alte
deutsche Glas sind diese altdeutschen Gläser aus der Zeit des Historismus hinsichtlich der Transparenz und der
gleichmäßigen Farbgebung der Glasmasse perfekt.
Allerdings war die Erzeugung des antikgrünen Farbtons insofern schwierig, als dass der entstehende Farbton
hauptsächlich von den Mangan- und Eisenanteilen der verwendeten Rohstoffe abhing. Da deren Anteil nur schwerlich genau
zu bestimmen war, schwankt der Farbton „antikgrün" in einer Bandbreite von gelbbraun bis braungrün. Dieser Farbton
entsteht dadurch, dass Eisen(II)oxid, das eine intensiv blaugrün gefärbte Glasmasse entstehen lässt, durch Oxidation
mit Braunstein (Mangandioxid) mehr oder weniger vollständig zu gelbbraun färbendem Eisen(III)oxid oxidiert wird.
Gegenüber der späteren Produktion des Jugendstils zeichnet die Römer des Historismus eine trotz der Spielarten des
antikgrünen Farbtons sehr einheitliche Farbgebung aus. Auffallend ist für die Glashütte Theresienthal allein die
Verwendung des türkisfarbenen Glases vor allem für Auflagen (Nuppen, Bänder etc.) sowie das lüstrierte Glas, das mit
seinem hellen champagnerfarbenen Ton sich deutlich von der altdeutschen Farbgebung abhebt. Während das lüstrierte Glas
erst in einer späten Phase des Historismus in das Repertoire der Glasfabrik aufgenommen wurde, gehörte die Verwendung
von türkisfarbenem Glas zu den typischen Merkmalen der theresienthaler Produktion des Historismus (Troppenburg).