Römer aus Theresienthal
© Stephan Buse 2007-2009

Theresienthal nach 2004





Im 2005 erscheinenden ersten Katalog nach der Wiederbelebung der Manufaktur wirbt Theresienthal mit "Kreationen von zeitloser Schönheit", mit "Verzierungen des Historismus mit Ornamenten des Jugendstils; funktionale(r) Eleganz mit farbenprächtigem Dekor."
Mit den "seit Generationen sorgsam verwahrten und gehüteten" Entwürfen und Modellen "lassen sich vergangene, heute ausgestorbene Fertigungstechniken nachvollziehen", heißt es auf Seite 4 des Katalogs.
Schaut man sich nun auf den folgenden rund 60 Seiten die Kollektion Theresienthals genauer an, dann entdeckt man, dass der größte Teil der angebotenen Glaswaren in der Tat von Form und Dekor her historisierend alte Stile reproduziert.
Wer immer die Theresienthaler Gläser aktueller Produktion im Stil des Biedermeier, des Historismus, des Jugendstils oder des Art Deko erwirbt, er tut dies vermutlich, weil ihm "eine Brücke (...) zwischen Vergangenheit und Gegenwart" (Thomas Kuball im Theresienthaler Katalog 2005, Seite 6) wichtig ist, eine Brücke, die der heutige Glasproduzent mit seinen historisierenden Produkten aus der Gegenwart in die Vergangenheit (andersherum geht`s wohl nicht) zu schlagen versucht.
A. Töpfer, Gewerbehalle 1866, S. 130, bemerkt allerdings bereits vor nun über 140 Jahren: "Versuche, unserer Zeit den Stempel der vergangenen Jahrhunderte wenn auch nur äußerlich aufzudrücken, sind immer gescheitert und werden stets unfruchtbar bleiben. Wie können wir den Gedanken hegen, der Gegenwart einen Stil zu oktroieren, der mit längst vergangenen Verhältnissen auf das innigste verwachsen ist?" Dementsprechend können die vergangenen Stile für den modernen Menschen, der meist ja froh ist, nicht in und unter den längst vergangenen Verhältnissen leben zu müssen, eigentlich nur ihrer Bedeutung nach, nicht aber in ihren heutigen Reproduktionen vorbildlich sein. Wenn dann im ersten Ergänzungsheft zur Kollektion (Seite 2) kundgetan wird: "Theresienthal - immer seiner Zeit voraus - kündigt mit seiner Kollektion 2006 das Comeback von Jugendstil und Art Nouveau an", dann mag "der revolutionäre Stil, der am Anfang des letzten Jahrhunderts eine neue dekorative Sichtweise auf Kunst und Handwerk einleitete" wohl zu einem weiteren nostalgischen Rückblick auf eine fremde Zeit dienen, kaum aber wird er eine umstürzende Veränderung in Kunst und Handwerk im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hervorbringen .
Der emanzipierte Kunde des heutigen Theresienthal, der der Gegenwart offen begegnet, lässt sich nun sicher nichts "oktroieren", vielmehr wird er aus der Vielzahl der angebotenen Glaswaren diejenigen wählen, die seinen "heutige(n) Lebensbedürfnisse(n)" entsprechen. Offenbar gibt es einen großen Kundenkreis, der den nostalgischen Rückbezug auf verschiedene (Stil-) Vergangenheiten zu seinem Lebensgefühl zählt. Dies trifft nicht nur auf Kunden der Glasfabrik Theresienthal zu, auch Porzellanmanufakturen, Messerschmieden etc. im In- und Ausland richten ihr Sortiment auf diesen Kundenkreis hin aus. Andererseits scheint es auch nicht wenige Kunden zu geben, die alles andere als eine gefühlte Brücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit suchen. Diese Kunden lassen sich weniger durch die Stile der Vergangenheit, mitunter werden diese sogar als rückständig abgelehnt, als vielmehr durch den historischen handwerklichen Fertigungsprozess und von dem durch diesen Fertigungsprozess erzeugten Material- und Qualitätsgefühl anziehen.
Auf dieser Seite sollen einige Beispiele aktueller Theresienthaler Produktion gezeigt werden, die die Verbindung zum historischen Kunsthandwerk nicht bei Stilen vergangener Zeiten, sondern "über den handwerklichen Prozeß und sein Erscheinungsbild" suchen (Barbara Mundt, Nostalgie Warum?, Berlin 1982, Seite 8), und so künstlerisch (und hoffentlich auch kommerziell) erfolgreich eine Brücke in die Zukunft für die Glasfabrik und ihre Kunden schlagen.



Weinglas "Tsingtao" in der Preisliste von 2007, 18 cm hoch, cristall auf hellgrün.
Gläser dieser Serie vereinen eine Vielzahl historischer handwerklicher Fertigungstechniken (hohlgeblasener und geschliffener Schaft, Handgravur,...) zu einem modernen Glas. Diese Glasserie weist in die richtige Richtung, "Antiquitäten von morgen" zu produzieren.

Einen Schritt weiter gehen die Glasserien Lola (entworfen von Matthias Gangkofner) und Newport (entworfen von Jens Denecke), die Theresienthal in 2008 nun nicht als anonymen Hüttenentwurf sondern in Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstlern und Designern auf den Markt gebracht hat. Zu dem handwerklichen Fertigungsprozess und seinem Erscheinungsbild tritt hier die jeweilige Idee des modernen Künstlers / Designers hinzu.
So entstehen Gläser, die es verdienen, in Sammlungen zeitgenössischer Trinkgläser Eingang zu finden.


Weinglas aus der Serie Lola, 16,3cm hoch, eiförmige Kuppa, in den massiven Schaft hinein (zu etwa einem Viertel seiner Höhe) auslaufend, zur Mitte hin sich verjüngender Schaft, in drei mattierte Segmente durch drei 5 mm breite und 2 mm tiefe blankgeschliffene senkrechte Rillen unterteilt, gewölbter Hohlfuß, Theresienthal 2008. Meiner Meinung nach mit Abstand der beste Entwurf für ein Weinglas bzw. einen Weinrömer in Theresienthal seit Jahrzehnten.
Zu der Homepage von Matthias Gangkofner geht es hier.



Weinglas aus der Serie Newport, 23cm hoch
Zu der Homepage von Jens Denecke geht es hier.






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