Römer aus Theresienthal
© Stephan Buse 2007-2011

Römer aus Theresienthal im 20. Jahrhundert


a) Definition

Die Römer, die die Glasfabrik Theresienthal zur Zeit des Historismus und im Jugendstil produzierte, waren zeitgenössische, in ihrer Zeit moderne, also funktions- und materialgerecht gestaltete Gebrauchsgläser, d.h. als Trinkgläser und seltener auch als Renomiergefäße entworfene Römer für gehobene Käuferschichten.
Die Römer, die die Glasfabrik Theresienthal nach dem zweiten Weltkrieg bis Ende des 20. Jahrhunderts herstellte, waren demgegenüber kaum mehr Gläser des (fest-) täglichen Gebrauchs. Gegen den (fest-) täglichen Gebrauch sprachen nicht allein ihr auch im Vergleich mit qualitätvollen Trinkglasserien recht hoher Preis, der aufgrund der handwerklich aufwändigeren Fertigung allerdings durchaus gerechtfertigt war, und auch kaum die fehlende Eignung für die Reinigung in den später immer mehr in Mode kommenden Spülmaschinen. Vielmehr waren diese Gläser nicht modern: Zwar materialgerecht entworfen und produziert, stellten sie im künstlerischen wie auch im funktionalen Sinn keine Weiterentwicklung des Weinglases sondern vielmehr eine Stagnation in seiner Entwicklung dar, waren doch Trinkglasserien aus Stengelgläsern mit unterschiedlichen Kuppagrößen und mit Kuppaformen für verschiedene Weinarten immer mehr zum Standard bei Weintrinkern geworden. Dieser Entwicklung, die zu Stengelglassätzen mit einem Dutzend oder mehr in Kuppaform und -größe unterschiedlichen Gläsern führte, jedes für eine andere Wein- oder Getränkeart vorgesehen, schloss man sich in der Produktion der Römer in Theresienthal nicht an. Lediglich unterschiedliche Größen und mitunter eine für den Sektgenuss geeignete Kuppa wurden bei einigen wenigen Römerserien angeboten. Dabei hatte man ganz offenbar eine entscheidende Veränderung in den Trinksitten übersehen: Bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein galt der Gastgeber als perfekt, der die Weingläser randvoll einschenkte. Daher hatte man die Kuppa der Gläser im Interesse der Gastgeber, der Kunden der Glashütten, verhältnismäßig klein gehalten, so dass eine Flasche guten Weines ausreichte, fünf oder sechs Gläser zu füllen. In dieser Zeit entdeckten Weinliebhaber allerdings, dass das Bukett eines Weines besser wahrgenommen wird, kann es sich oberhalb des Weines in einem genügend großen Raum des Glases entfalten. So wurde es üblich, die Kuppa nur bis zur weitesten Stelle mit Wein zu füllen, wollte man seine Kennerschaft beweisen. Leider erwies sich nun die Kuppa der meisten theresienthaler Römer als zu klein um mehr als ein oder zwei Schlückchen aufzunehmen. Die Weintrinker suchten nun neuere Gläser mit größerer Kuppa zu erwerben. Römer mit größeren und unterschiedlichen Kuppaformen, die diesen veränderten Trinkgewohnheiten der Weinkenner hätten entsprechen können, wurden aber in Theresienthal unter Verkennung dieser neuen Kundenwünsche nicht entwickelt. Statt dessen reproduzierten die Römer aus Theresienthal in dieser Zeit weiterhin die Historie des Weinrömers und ergänzten zugleich die Vielfalt der traditionellen Römerformen auch durch neue Variationen. Variiert wurde dabei vor allem die Gestaltung des Schaftes und des Fußes, nicht aber die der Kuppa. Auf diese Weise entstanden auch neue Formen, die keine direkten Vorbilder in Jugendstil oder Historismus hatten, wohl aber das historisierende Repertoire dieser Gläser aufnahmen. So wird diesen Gläsern kein Unrecht getan, wenn man sie als „historisierende" Römer bezeichnet. Unter diesen Voraussetzungen waren diese Gläser, wie ein großer Teil der theresienthaler Produktion überhaupt, an eine eher traditionsbewußte, im Einrichtungstil konservative Käuferschaft oder an Sammler gewiesen, die um der Tradition willen bereit waren, auf moderne Funktionalität weitgehend zu verzichten. Meist wurden diese Gläser von vornherein als Einrichtungs- und nicht als Gebrauchsgegenstände betrachtet. Auch die in größerer Zahl von verschiedenen Weinvertriebsfirmen („Herrgottströpfchen" und „Gerhardtwein bzw. -sekt") als Werbegeschenke verteilten Gläser aus Theresienthal wanderten so meistens in die Vitrinen der Weintrinker und nicht auf den gedeckten Tisch. Die konservative Käuferschaft dieser Gläser wie auch die Zahl ihrer Sammler wurde Ausgangs des 20. Jahrhunderts immer kleiner, was mit ein Grund für den Niedergang Theresienthals gewesen sein mag. Auch die Zahl der angebotenen Römerformen schwankte über die Jahre hinweg deutlich: Ausgangs der fünfziger Jahre begnügte man sich in der Glashütte Theresienthal mit dem Angebot von zehn unterschiedlichen Römervarianten, Mitte der siebziger Jahre zeigt der Katalog „Das schöne Glas" schon mehr als 20 verschiedenen Modelle. Die Preisliste von 1981 listet dann beinahe dreißig Formvarianten. Im Jahr 1986, keine vier Jahre nach der vollständigen Übernahme der Glashütte durch Hutschenreuther, hat sich diese Vielfalt wieder auf weniger als die Hälfte reduziert.

Bild aus dem Katalog "Das schöne Glas" vor 1960

Bilder aus dem Katalog "Das schöne Glas" um 1970

Bilder aus Theresienthaler Prospekt um 1980

Bis zu ihrem ersten Konkurs nimmt die Glashütte lediglich noch die ein oder andere Römerform aus dem Programm und ersetzt sie durch andere Modelle. Hierbei greift die Hütte nur noch auf historische Vorlagen zurück, neue Römerformen werden, abgesehen von den Versuchen, die die Hütte ab 1997 unter Ralf Wenzel unternahm, nicht mehr entwickelt. Die große Bandbreite in der Römerfertigung zu Beginn der achtziger Jahre wird nie wieder erreicht. Allerdings wurden in dieser Zeit Römer nach historischen Vorlagen gefertigt, die in keiner bekannten Preisliste und in keinem Katalog dokumentiert sind. Nach Auskunft des ehemaligen Betriebsleiters Theresienthals wurden diese Gläser in Kleinstserien entweder zum Test ihrer Vermarktungsfähigkeit oder aber zum Erhalt der handwerklichen Fertigkeiten der Glasmacher der Hütte produziert. Diese Gläser zählen zu den Raritäten der Produktion der Glashütte im 20. Jahrhundert.
Ralph Wenzel, Inhaber Theresienthals von 1997 bis 2000, unternahm den Versuch, der Glasform des Römers neue Impulse zu geben. Die Entwicklung moderner Römer mit Entwürfen von Heike Phillip und Volker Hundertmark führte zu Gläsern, die auf der Messe in Frankfurt im Jahr 2000 vorgestellt wurden, aber nur noch sehr vereinzelt in den Handel kamen.
(Veröffentlichung mit Genehmigung des Meisenbach Verlags, Redaktion stil&markt)



Allerdings wurde auch bei diesen Gläsern das Augenmerk auf die Veränderung des Fußes und des Schaftes gelegt, der Weinrömer also hauptsächlich als Kunstobjekt und kaum als Trinkglas gesehen. Die für Weintrinker notwendige Arbeit an der Form der Kuppa blieb wiederum unerledigt. Außerhalb Theresienthals findet sich ein Ansatz zur Weiterentwicklung des Römers bereits Mitte der achtziger Jahre mit den Gläsern der Serie Falstaff, entworfen von Dieter Stang für Schott-Zwiesel. Die Produktion dieser Gläser überdauerte aber kaum ein Jahrzehnt, ein Einfluss auf andere Glashütten, Theresienthal eingeschlossen, ist nicht feststellbar.

b) Zum Problem der Datierung der Herstellung des einzelnen Glases

Während die Datierung vieler Entwürfe relativ problemlos möglich ist, macht es die einzigartige Kontinuität Theresienthals bei der Herstellung der Römer bisweilen sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, einzelne Gläser einem bestimmten Herstellungsdatum zuzuordnen, wenn ihnen nicht Dokumente wie Kaufbelege, Aufkleber o.ä. an- oder beigefügt sind, die eine ungefähre zeitliche Einordnung ermöglichen können. Aber auch dann kann häufig nur der Zeitraum angegeben werden, in dem das entsprechende Glas in den Prospekten und Preislisten der Glashütte zum Verkauf angeboten wurde, also jeweils ein Zeitpunkt ab dem und bis zu dem diese Glasform im regulären Hüttenprogramm hergestellt bzw. angeboten wurde. Über das reguläre Programm hinaus hat die Glashütte, entsprechende Auftragsgrößen vorausgesetzt, zu jeder Zeit auch längst aus dem Programm genommene Gläser reproduziert. Auch dies erschwert eine sichere Datierung. Allerdings wurden einzelne bemalte Römerserien (z.B. Gläser der Serien „Toscana", „Palais" und des Sammelrömers „Bernkastel") ab den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Signatur des Malers und der Jahreszahl der Herstellung versehen, ebenso wurden sogenannte „Jahrgangsrömer" mit den Jahreszahlen 1998-2003 produziert, die mit der jeweiligen Jahreszahl versehen wurden. Darüberhinaus kann der genaue Beobachter deutliche Unterschiede im Emailauftrag der originalen Historismus- und Jugendstilgläser im Vergleich zu den Gläsern aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts feststellen.

c) Die Farbe der Römer aus Theresienthal im 20. Jahrhundert

In der Regel wurden die Farben der theresienthaler Römer auf zwei Weisen miteinander kombiniert: Zum einen wurde einer farblosen („cristallenen") Kuppa ein farbiger Fuß und Schaft hinzugefügt, oder aber die Ausführung erfolgte als gänzlich (ein-)farbige bzw. cristallene Ausführung. Daneben gibt es von einigen wenigen Formvarianten Ausführungen mit farblosem Schaft und farbiger Kuppa. Diese Gläser wurden hauptsächlich für den Export gefertigt und finden sich noch heute eher auf dem us-amerikanischen denn auf dem deutschen Markt für Sammler- und Antikglas.
In der Preisliste von Oktober 1981 wurden neben „cristall" drei weitere Farben gelistet: hellgrün, jagdgrün und goldgelb. Im Katalog von 1986 wurde goldgelb in bernstein umbenannt und ein dritter Grünton trat mit dem „Antikgrün" hinzu. Die Variante „bernstein" bezeichnet ein topasfarbenes Glas und wurde überwiegend für Füße und Schäfte der Römer verwendet. Gleiches gilt für den Farbton „hellgrün", der ein leuchtender kräftiger Grünton ist. Dieser Grünton ist nahezu identisch mit dem Hellgrün der Preisliste von 1907. Dieser Umstand führt häufig dazu, dass etwa Römer der Form „Pfalz", produziert bis 1993 nach einem Vorbild des Jugendstils, voreilig in die Zeit des Jugendstils rückdatiert werden. Dabei waren im Jugendstil hellere Grüntöne als jenes doch recht dunkle „Hellgrün" deutlich beliebter und sind daher bei den Originalen aus der Zeit des Jugendstils viel häufiger zu finden. Ein zweiter Grünton ist seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts das sog. Jagdgrün, ein dunkles blaugrün, das bei zunehmender Dicke des Glases fast schwarz wirkt. Es wurden häufig auch einfarbige Römer in diesem Farbton produziert. Sammler müssen dabei beachten:
Das „Jagdgrün" weist immer auf die Entstehung des Glases nicht vor etwa 1930 hin. Insbesondere gilt dies für die nicht seltenen Reproduktionen von Jugendstilglasformen, deren Besitzer diese Gläser verständlicherweise gerne in die Zeit um 1900 datieren möchten. Originale Gläser aus der Jugendstilepoche Theresienthals besitzen aber dungelgrüne Schäfte bzw. Stengel ohne den Blaustich des jagdgrünen Glases!
Ein dritter Grünton in der Farbpalette ist das Antikgrün, ein grauolivgrüner Farbton, der mitunter auch ins bräunliche variiert; diese Farbe war auch im 20. Jahrhundert nur sehr schwer zu produzieren, der entstehende Farbton hing sehr stark von den Mangan- und Eisenanteilen der verwendeten Rohstoffe ab. Da ihr Anteil schwerlich genau zu bestimmen war, schwankt der Farbton „antikgrün" auch zu dieser Zeit noch in einer Bandbreite zwischen graugrün und braungrün. Man beachte: Auch unterschiedliche Stärken des Glases lassen denselben Farbton heller oder dunkler erscheinen. Zusätzlich kommt es aufgrund von Schwankungen der Rohstoffanteile in den Gemengemischungen unterschiedlicher Herstellungszeiträume immer wieder zu leichten Varianzen in der Ausprägung des einzelnen Farbtons.

Römer nach Vorlagen des Historismus

Römer nach Vorlagen des Jugendstils

Römer nach bislang undatierbaren Entwürfen

Römer nach Entwürfen, die nach 1930 entstanden sind

Römer nach Entwürfen, die um 1998 entstanden sind

Renommierrömer aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts



  • Zur Geschichte der Glasfabrik Theresienthal
  • Die traditionelle Römerform bis zur Biedermeierzeit
  • Besonderheiten bei der Herstellung von Römern
  • Zur Datierung der Entwürfe
  • Römer aus Theresienthal um 1840
  • Römer aus Theresienthal um 1890
  • Vom Historismus zum Jugendstil - Römer aus Theresienthal um 1907
  • Römer aus Theresienthal im 20. Jahrhundert
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