Römer aus Theresienthal
© Stephan Buse 2007-2013

Römer aus Theresienthal

Tradition, Variation und Auflösung einer Glasform zwischen Historismus und Postmoderne

Heinrich Heine notierte 1844 in „Deutschland - Ein Wintermärchen" bei seiner Ankunft in Köln: „Der Rheinwein glänzet noch immer wie Gold im grünen Römerglase,....."
Als Römerglas hielt Heinrich Heine wahrscheinlich ein etwa 14cm hohes, dunkelgrünes Glas mit einem konischen, gerippten oder aus einem Glasfaden gesponnenen Fuß, einem nuppenbesetztem zylindrischen Mittelteil und einer kugelförmigen Kuppa in der Hand. Besucht man heute eines der zahlreichen kleinen Antiquitätengeschäfte und fragt nach „Römern", wird einem mit Glück und gewissem Recht ein Satz eleganter Stengelgläser mit farbigen Stiel und klarer, evtl. gravierter oder emaildekorierter Kuppa präsentiert. Meist aber wird auf Farbgläser verwiesen, sogenannte Überfangrömer mit Schliffdekor, überlangem Stiel und des Gleichgewichts wegen übergroßen Fußplatten, bei denen die ursprüngliche Einheit des Sechsersatzes derart in sechs verschiedene Farben verzettelt wurde, dass der Betrachter den Verdacht haben kann, dass mindestens eine dieser Farben eine Fehlfarbe ist. Zwischen beiden Polen, dem Biedermeierrömer zur Zeit Heinrich Heines und jener Auffassung, die die noch heute häufig produzierten bunten Überfangstengelgläser mit Schliffdekor fälschlicherweise für den Inbegriff des Römers schlechthin hält, liegen mehr als anderthalb Jahrhunderte der Entwicklung, Variation und Auflösung der Glasform und des Begriffs des Römers.
Keine andere Glashütte hat sich in ihrer Geschichte so intensiv mit den klassischen Formen des Römerglases und ihrer Entwicklung, wie sie sich vor der Zeit des Historismus ausprägte und durch den Historismus stark differenzierte, befasst, wie die Glasfabrik Theresienthal. Die große Bandbreite der für Theresienthal seit etwa 1840 belegbaren Römer umfasst in verschiedenen Epochen hergestellte Reproduktionen des Berkemeyers, klassische Römerformen des Biedermeier ebenso wie Neuschöpfungen der Römerform zur Zeit des Historismus, deren formale Reduktion im Jugendstil und eine große Auswahl „neohistoristischer" Römer, die bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts und darüberhinaus produziert wurden.
Ihre einzigartige Stellung, auch gegenüber der Glashütte in Köln-Ehrenfeld, die ja kaum ein halbes Jahrhundert lang die Gläser ihrer Kunstglasabteilung produzierte, erhielt die Glashütte Theresienthal dadurch, dass sie die Herstellung der unterschiedlichen Römerformen nicht auf deren Ursprungsepoche beschränkte, sondern durch die drei Jahrhunderte hindurch, in denen sie in Betrieb ist, immer wieder auf ihren reichen Fundus an Formen und Dekoren zurückgreifen konnte und dies auch ausgiebig tat. Auch waren die Römer Theresienthals in Historismus und Jugendstil größtenteils als Gebrauchsgläser entworfen und produziert worden. Deshalb kamen zumindest die bei den Kunden beliebteren Entwürfe in größeren Stückzahlen verhältnismäßig preiswert auf den Markt. Demgegenüber waren die altdeutschen Gläser der Kunstglasabteilung Ehrenfelds nicht nur deutlich teurer und meist auch aufwändiger produziert, auch wurden sie in weit geringeren Stückzahlen hergestellt, zugleich aber mit großem bis in unsere Zeit gut dokumentiertem Aufwand beworben. Das hat zur Folge, dass man sich heutzutage zwar vor allem an die Kunstgläser der Hütte in Ehrenfeld, nicht aber an deren weitaus zahlreicher produzierten Gebrauchsgläser erinnert, zugleich aber die Gläser der Kunstabteilung Ehrenfelds seltener und oft höher bewertet auf dem Antiquitätenmarkt zu finden sind als die Römer Theresienthals.
Anhand der Römer aus Theresienthal kann die Tradition, Variation und Auflösung der Glasform und des Begriffs des Römers zwischen Historismus und Postmoderne über fast 200 Jahre hinweg im Zusammenhang dargestellt werden. Zugleich wird erstmalig diese Thematik in ihrer Breite erschlossen und der Formenreichtum theresienthaler Römer dokumentiert. Der Blick des Glassammlers soll damit auf einen Bereich der Produktion der Glasfabrik Theresienthal gelenkt werden, der zu Unrecht im Schatten der Jugendstilstengelgläser dieser Glashütte steht. Diese werden zwar von vielen Sammlern und Kunsthistorikern höher bewertet, die klassischen Theresienthaler Römer dagegen bewahren zahlreiche Techniken des Glasmacherhandwerks, die mit dem Jugendstil aufgrund seiner Reduktion auf die einfache Form sowohl in mancher Glashütte wie auch bei den Glassammlern fast in Vergessenheit gerieten. Dem entspricht, dass in zahlreichen Betrachtungen über das Gebrauchsglas des Jugendstils die Form und ihre Entwerfer in den Mittelpunkt gestellt, die Bedingungen der immer noch handwerklichen Produktion und ihr Einfluss auf das Produkt Glas aber meist außer Acht gelassen werden.

Es wird nicht der Anspruch erhoben, alle jemals in Theresienthal produzierten Römerformen vollständig zu erfassen, ist doch die sehr vielfältige Produktion der theresienthaler Hütte in zugänglichen Quellen leider nur bruchstückhaft dokumentiert. Soweit wie möglich werden alle Gläser im Original abgebildet, Abbildungen aus alten Katalogen und Preislisten wurden dort aufgenommen, wo die Gläser im Original nicht greifbar waren oder die Abbildungen in den Katalogen Details zeigen, die auf dem Foto des jeweiligen Glases nur schwer zu erkennen sind.
Im Herbst 2006 wurden mir erstmals einige Dokumente, die sich im Besitz der Gangkofner KG befinden, für eine Veröffentlichung zugänglich gemacht. Als ein Resultat der Bearbeitung dieser Dokumente erschien in 2007 ein erster Band "Römer aus Theresienthal" mit Nachdrucken aus Preislisten von ca. 1890, 1903 und 1907. Ein zweiter Band mit einer Preisliste von ca. 1840 erschien 2008 und Band 3 mit Preislisten, die den Übergang vom Biedermeier zum Historismus dokumentieren, ist für 2009 in Vorbereitung.

Erfahrungen von Desinteresse an meiner Arbeit musste ich leider mit manchen verdienten Personen und Institutionen der Glastradition des Bayerischen Waldes machen. Das bedaure ich sehr, denn da gäbe es viel zu lernen und auszutauschen.

Um so größeren Dank schulde ich daher all jenen, die mich, da ihnen die Erforschung der Glastradition des Bayerischen Waldes mehr am Herzen liegt als persönliche Besitzstandswahrung, großzügig und ohne Vorbehalte Einblick in Ihre Archive und Forschungen nehmen ließen.

Besonderer Dank für zahlreiche wertvolle Hinweise zu Beginn dieser Arbeit gilt Walter Vollmer, dem ehemaligen technischen Betriebsleiter der Glasfabrik Theresienthal sowie Wolfgang Seil, der in den Jahren 1982 - 1986 als Außendienstverkäufer in einem großen Bereich Süddeutschlands Facheinzelhandels-Geschäfte für Theresienthal betreute.

Herzlicher Dank auch an Frau Silvia Süß und Randolf Ditz!

Weiterer Dank gilt all jenen, die beim Aufbau der Sammlung und dieser Seiten mitwirkten und noch mitwirken, indem sie Römer aus Theresienthal auffinden und/oder Informationen und Archivalien für diese Seiten beisteuern. Besonders genannt werden sollen an dieser Stelle Uwe Wolf, Dr. Jörg Sutter sowie Stephen Lee Smith, der die Übersetzung ins Amerikanische unterstützt.
(Wie die Leser und Leserinnen dieser Seiten mithelfen können, dieses Projekt fortzuführen und auszubauen, darüber erfahren Sie mehr hier).

Der größte Dank aber sei all jenen geschuldet, die diese kunsthandwerklichen Kostbarkeiten durch ihrer Hände Werk möglich machten: den vielen meist unbekannten Glasmachern, Schleifern, Malern und all jenen, die seit 1836 in der Glasfabrik Theresienthal arbeiteten und lebten.



Inhalt



  • Zur Geschichte der Glasfabrik Theresienthal
  • Die traditionelle Römerform bis zur Biedermeierzeit
  • Besonderheiten bei der Herstellung von Römern
  • Zur Datierung der Entwürfe
  • Römer aus Theresienthal um 1840
  • Römer aus Theresienthal um 1890
  • Vom Historismus zum Jugendstil - Römer aus Theresienthal um 1907
  • Römer aus Theresienthal im 20. Jahrhundert
  • Identifikation und Zuschreibung
  • Fundorte
  • Hinweise für den Aufbau einer Sammlung
  • Literatur
  • Anekdoten aus dem Sammlerleben
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